Gesundheit als Luxus in Zeiten von Corona

Die Frage nach Luxus ist keine rein persönliche Frage, sondern weist eine unmittelbare Beziehung zu Fragen der gesellschaftlichen Verteilung von Gütern auf. Denn Luxus, ob materiell oder immateriell, ist an Besitz und als solcher an Dynamiken der Produktion und Verteilung gebunden. So  herrscht bezüglich Gesundheitsleistungen in der Wirtschaftswissenschaft noch keine Einigkeit darüber, ob es sich um Luxusgüter oder notwendige Güter handele. Das Kriterium ist hierbei stets, wie sehr sich die Ausgaben für Gesundheitsleistungen mitverändern, wenn das Einkommen steigt oder sinkt (Einkommenselastizität).

Dabei konnten Ergebnisse in unterschiedliche Richtungen erzielt werden. Einflussreich ist in diesem Kontext zudem die Hypothese, dass  Gesundheitsleistungen auf individueller Ebene der Gruppe der notwendigen Güter, auf Ebene des jeweiligen Staates hingegen den Luxusgütern zuzurechnen seien (Getzen 2000). Neuere ökonomische Studien weisen indes darauf hin, dass insbesondere der Wohlstand des betrachteten Landes sowie sein System der Gesundheitsfürsorge entscheidende Faktoren für die Kategorisierung von Gesundheitsleistungen darstellen (Ucieklak-Jeż et al. 2017).

Eine vergleichbare sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gesundheit als Luxus fehlt bislang. Da derzeit rund um die Infektionsschutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie die Abwägung zwischen Gesundheit und immateriellen Gütern wie das Verreisen und soziale Kontakte in der Öffentlichkeit diskutiert wird, erschien die Zeit reif, die Frage direkt an die deutsche Wohnbevölkerung weiterzugeben. Dies erfolgte anhand von 2 der insgesamt 18 luxusbezogenen Items in der infas-Mehrthemenbefragung (siehe auch Seite 4), namentlich ob „Gesund sein“ und „Mich gut und schmerzfrei bewegen können“ für die Befragten persönlich einen Luxus darstelle. Die Daten entstammen einer Stichprobe (n = 3.019), die über das 1. Quartal 2021 hinweg und damit während der jüngsten Hochphase der Corona-Pandemie in Deutschland erhoben wurde.

Stabile Zustimmung mit wenigen Abweichungen

Insgesamt gaben rund 77 Prozent der Befragten an, dass „Gesund sein“ für sie persönlich Luxus darstelle. Unmittelbar deutlich wird dadurch, dass zumindest während der Pandemie die Selbsteinschätzung der Befragten nicht mit den Ergebnissen der ökonomischen Forschung konsistent ist. Die  Verteilung bleibt zudem weitgehend erhalten, wenn das Antwortverhalten nach verschiedenen Variablen kontrolliert betrachtet wird. So sind dieser Meinung zwar rund 80 Prozent der Personen, die sich selbst einer oberen gesellschaftlichen Schicht, aber auch 70 Prozent der Befragten, die sich in der unteren Schicht einordnen. Sie gaben an, dass sie Gesundheit für sich als Luxus ansehen. Hingegen weisen Bildungsgrad und Einkommen keinen signifikanten Einfluss auf das Antwortverhalten auf, was wiederum gegen Schichtzugehörigkeit als eindeutigen Einflussfaktor spricht.

Nimmt man also an, dass Luxus definitorisch eine „Nicht-Notwendigkeit“ beinhaltet, kann die deutliche Einordnung von Gesundheit als persönlicher Luxus nur überraschen.

Hinsichtlich der Effektstärke vergleichbar ist auch der Einfluss des  Geschlechts, wenngleich die hohe Zustimmung grundsätzlich erhalten bleibt: Während rund 72 Prozent der Männer angeben, dass „Gesund sein“ für sie einen persönlichen Luxus darstellt, stimmten 80 Prozent der Frauen der Aussage zu. Nahezu dieselben Prozentwerte erhält man übrigens auch, vergleicht man das Antwortverhalten der 18- bis 25-Jährigen mit dem der über 60-Jährigen. Hier sind die älteren Befragten zwar noch eher der  Meinung, dass Gesundheit für sie einen persönlichen Luxus darstellt, jedoch bleibt die Zustimmung auch bei jungen Menschen insgesamt hoch.

Gesundheit in der Pandemie

Da die Corona-Krise aktuell die Frage nach Gesundheit und Luxus in den Vordergrund rückt, werden in der öffentlichen Diskussion um Reise- und Kontaktbeschränkungen stärker die Werte von Gesundheit, Reisen und sozialen Kontakten in physischer Kopräsenz gegeneinander abgewogen. Anhand der Befragungsdaten lässt sich  allerdings nicht feststellen, dass eine Zustimmung oder Ablehnung von Gesundheit = Luxus mit einer eindeutigen Haltung gegenüber der Strategie zur Infektionseindämmung (dezidierter Schutz der Risikogruppen oder ein Schutz aller   Bevölkerungsgruppen) einherginge.

Klarer hingegen ist, dass die Annahme, die Pandemie bringe die Leute dazu, sich wieder auf die wahren Dinge des Lebens zu konzentrieren, in der Tendenz mit einer Bejahung von „Luxus ist: Gesund sein“ einhergeht. Als hochgeschätzter immaterieller Wert ist Gesundheit schließlich prädestiniert dazu, selbst zu den wahren Dingen gezählt zu werden. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass die  Zustimmungswerte zu „Gesundheit = Luxus“ im Allgemeinen durch die Corona-Pandemie erhöht sind. Mit der Impfbereitschaft ist wiederum kein Zusammenhang zu erkennen, insofern auch Gegner von Impfungen der Aussage weit überwiegend zustimmten. Dabei findet sich bei Menschen, die persönliche Erfahrung mit Infektionen bei sich selbst, auf der Arbeit und im Familien- und Bekanntenkreis gemacht haben, dieselbe Zustimmung wie bei Personen ohne  entsprechende Erfahrungen. Bettet man demnach die Auseinandersetzung mit der Frage kontextuell stärker in die Pandemie ein, bleibt noch offen, ob und inwiefern das stark positive Antwortverhalten durch die aktuellen Entwicklungen der Corona-Pandemie tatsächlich beeinflusst wird. Klarheit können hier zuletzt nur weitere Studien bringen, die Daten von vor oder nach der Corona-Pandemie einbeziehen.

In der Abwägung zwischen der Gesundheit und dem Wert des Reisens oder sozialer Kontakte ergibt der öffentliche Diskurs häufig ein klares Bild: Viele Menschen sind der Meinung, dass die Kontaktbeschränkungen angesichts des Infektionsgeschehens berechtigt sind oder verstärkt werden sollten. Vergleicht man das Antwortverhalten zur Gesundheit mit dem Verreisen und „mehr Zeit für Freunde und Familie“, stellt sich indes jeweils ein leichter positiver Zusammenhang dar. Für eine relative Abwertung des Verreisens oder sozialer Kontakte gegenüber der Gesundheit in der Pandemie gibt es daher aktuell keine Hinweise. Allein im Verhältnis zur  Zustimmung zur Aussage „Luxus ist: Viel Geld und teure Sachen besitzen zu können“ stellt sich ein negativer Zusammenhang zur Gesundheit heraus. Dies kann jedoch unterschiedliche Ursachen haben – von einem Einfluss der hohen Präsenz der Gesundheit in öffentlichen Debatten aufgrund der Pandemie bis hin zur grundlegenden Differenz zwischen materiellen und immateriellen Werteinstellungen oder gar unterschiedlichen Auffassungen des Luxusbegriffs bei den Befragten ist derzeit keine Einflussgröße leicht ausschließbar.

Luxus = Luxus?

Hinsichtlich der Frage, ob Gesundheit ein Luxusgut sei, geben die Umfragewerte deutliche Auskunft und widersprechen somit ökonomischen Auffassungen von Luxus. Es ist allerdings wenig plausibel, hier in der Sache einen Konflikt zwischen Ökonomen und der Bevölkerung anzunehmen. Vielmehr liegt wohl ein Definitionsproblem vor: Es kann schließlich nicht wirklich davon ausgegangen werden, dass die Befragten mit ihrer Antwort dem Gesund-Sein seinen Notwendigkeitscharakter absprechen wollen. Zielführender ist die Annahme, dass die Definition von Luxus im  Alltagswissen über weniger scharfe Konturen verfügt und den Befragten daher eine höhere Flexibilität bei der Beurteilung verschiedener materieller und immaterieller Güter als Luxus ermöglicht. Erste Hinweise in Richtung einer theoretischen Differenzierung gibt dabei der Vergleich von  „Gesundheit = Luxus“ mit „Teure Gegenstände = Luxus“. Hier bietet sich eine Unterscheidung nach zwei Definitionsmustern an, nämlich nach Luxus als Nicht-Selbstverständlichem bzw. Luxus als Nicht-Notwendigem. Fraglich wird dann allerdings, ob diese Unterscheidung mit bestehenden, differenzierteren Betrachtungen des Luxusbegriffes konsistent ist oder weitere Arbeiten notwendig werden, um den sonderbaren Status von Gesundheit als  Luxusgut nicht nur über Umfragewerte, sondern auch begrifflich in aller Klarheit erfassen zu können.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 11 von Lagemaß (Zur Magazin)

Zum Weiterlesen:
Getzen, T. E. (2000): Health care is an individual necessity and a national luxury: applying multilevel decision models to the analysis of health care expenditures. Journal of Health Economics 19, 259-270.
Ucieklak-Jeż, P., Bem, A., Prędkiewicz, P., Siedlecki, R. (2017): Healthcare benefits: luxury or necessity goods? EU countries case revisited. In: European Financial Systems 2017. Proceedings of the 14th International Scientific Conference, Brno.

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