Wohnmobilität – eine Frage des Lebensstils

Städte und Regionen, im Besonderen deren Wohnungsmärkte, befinden sich in einem ständigen Wandel. Neu ist jedoch die Dynamik und die Komplexität dieser Entwicklungen. In Deutschland gibt es gegenwärtig keinen gleichförmigen Wohnungsmarkt, stattdessen prägt eine Vielzahl von regionalen Teilmärkten das Bild. Gesellschaftliche Entwicklungen haben das Nachfragergefüge gründlich verändert, sodass nahezu allerorts quantitative und qualitative Anpassungen des Wohnungsangebots erforderlich sein werden. Was vor 30 Jahren noch als Bestandteil einer Komfortwohnung galt, ist heute normale Grundausstattung geworden. Die Frage nach der Wohnqualität stellt sich in der Praxis vor allem dann, wenn Wohnungen nicht mehr nachgefragt werden und zunehmender Leerstand droht.

Der Durchschnittsmieter bzw. -käufer ohne spezielles Profil, der nimmt, was ihm angeboten wird, wird zunehmend seltener. Vielmehr differenzieren sich die Wohnwünsche der Wohnungsnachfrager immer mehr aus. Insofern schließen sich auf dem Wohnungsmarkt Angebotsüberhänge auf der einen und Nachfrageüberschüsse auf der anderen Seite nicht aus. Der Wohnungsmarkt wandelt sich vor allem in schrumpfenden Regionen vom Anbieter- zum Nachfragermarkt. Detailkenntnisse über die Wohnwünsche einzelner Nachfragergruppen werden zum Wettbewerbsvorteil für Kommunen und Wohnungsunternehmer im Kampf gegen Bevölkerungsverluste durch wohnungsinduzierte Abwanderungen und drohende Leerstände. In welchen Lebensphasen und nach welchen Lebensereignissen werden welche Wohnmodelle nachgefragt? Welche Reichweite haben noch soziodemografische und -ökonomische Faktoren in einer pluralisierten Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensformen und Lebensstilen bei Beschreibung der Wohnungsnachfrage?
Analysen auf Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP) – einer repräsentativen Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland seit 1984 im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) – legen dar, dass Wohnbedürfnisse und -ansprüche nicht nur in Abhängigkeit von Lebensphasen und der gelebten Haushaltsform variieren, sondern auch hinsichtlich des Lebensstils. Der Lebensstil hat nachweislich zwar keine höhere Relevanz für Wohnentscheidungen als soziodemografische und -ökonomische Faktoren. Es ist aber zu beobachten, dass die Wohnbedürfnisse bestimmter Lebensstilgruppen weniger stark durch verschiedenartige Lebensphasen geprägt sind. Selbst im Fall einer steigenden Haushaltsgröße, beispielsweise durch eine Familiengründung, sinkt bei Personen mit einem postmateriellen, extrovertierten Lebensstil die Mobilitätsneigung weniger stark ab als bei anderen Lebensstilgruppen.

Wohnzufriedenheit als zentrales Merkmal

Das Wissen um Wohnwünsche verschiedener Nachfragergruppen allein reicht aber nicht aus, um im gegenwärtigen Standortwettbewerb bestehen zu können. Vielmehr muss dieses Wissen vor Ort in attraktive Wohnlösungen und Planungsstrategien überführt werden. Dabei sind Kommunen und Wohnungsunternehmer gleichermaßen gefragt. Wohnzufriedenheit ist ein entscheidendes Maß der von den Bewohnern wahrgenommenen Wohnqualität. Insofern wird die Sicherstellung eines hohen Maßes an Zufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit den vorgefundenen Bedingungen der Wohnung und des Wohnumfelds zu einem wichtigen wohnungspolitischen Ziel. Für Wohnungsunternehmer stellt die Mieterzufriedenheit damit einen zentralen Faktor der Kundenbindung dar. Als Rückgrat für die soziale und ökonomische Stabilität einer Siedlung oder eines Stadtquartiers kann die Sicherstellung von Wohnzufriedenheit als zentrale Aufgabe für Wohnungsbau und Stadtplanung betrachtet werden. Wohnzufriedenheit ist der Garant für Kontinuität und Stabilität.
Wie aber entsteht Wohnzufriedenheit? Objektive Gegebenheiten der Wohnsituation werden anhand von subjektiven Bedürfnissen und Erwartungen bewertet. Daraus ergibt sich im positiven Fall eine hohe Wohnzufriedenheit, die die Lebensqualität erhöht und mit Wohlbefinden einhergeht. Dabei ist Wohnzufriedenheit nicht zwangsläufig ein verlässliches Maß für objektive Wohnqualität, kann jedoch Aussagen über Verhaltensabsichten der Bewohner liefern. Erfüllte Wohnbedürfnisse sind Voraussetzung für eine hohe Wohnzufriedenheit. Damit setzt Wohnzufriedenheit die Verwirklichung von individuellen Wohnwünschen voraus. Erwartungsgemäß sind individuelle Wünsche hinsichtlich der Wohnung einfacher zu erfüllen als im wenig beeinflussbaren Wohnumfeld. Eine lebendige Nachbarschaft ist die beste Voraussetzung für soziale Einbindung und Integration und die Erfüllung der sozialen Bedürfnisse der Bewohner. Analysen auf Basis des SOEP belegen, dass die individuelle Trägheit, eine Wohnungssuche aufzunehmen, entscheidend von der Einbindung in die Nachbarschaft abhängt: Mit steigender Wohndauer und sozialer Integration sinkt die individuelle Mobilitätsbereitschaft. Wohnzufriedenheit entsteht letztlich aus dem Abgleich zwischen den Erwartungen der Bewohner mit der wahrgenommenen Realität. Sie bemisst den Grad der Entsprechung dieser beiden Komponenten. Entsteht eine Divergenz zwischen der realen Wohnsituation und den Wohnansprüchen, beispielsweise durch eine Änderung der Haushaltsgrö­ ße, der Einkommenssituation oder durch veränderte Wohnbedingungen wie der Zustand des Wohngebäudes oder die Qualität des Wohnumfelds, so steigt die Wahrscheinlichkeit von Mobilität. Soweit Wohnzufriedenheit besteht und Bedürfnisse individuell ausreichend befriedigt werden, tritt eine Wohnungssuche nicht als Handlungsalternative auf. Auf diese Weise wird die Messung von Wohnzufriedenheit zu einem entscheidenden Indikator für die Wohnortbindung. wohnmobilitaet-1Alternativ zum Umzug ist auch eine Umgestaltung der aktuellen Wohnsituation oder eine Senkung des Anspruchsniveaus denkbar. Der Nutzen einer Wohnung bzw. eines Wohnumfelds hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die durch individuelle Wohnbedürfnisse eine Gewichtung erfahren. In Hinblick auf objektive Wohnbedingungen haben sich die Wohnungsgröße, das nachbarschaftliche Umfeld, die Infrastruktur und das Angebot an Dienstleistungen in der Wohnumgebung sowie das Erscheinungsbild des Hauses und der Wohnumgebung als wichtige Faktoren der Wohnzufriedenheit erwiesen.

infas-Befragung zur Wohnzufriedenheit

Ergebnisse einer bundesweiten infas-eigenen Bevölkerungsumfrage von 1.571 Befragten, die im Frühjahr 2015 durchgeführt wurde, belegen, dass die Zufriedenheit mit der Wohnung ein wichtiger Faktor der Lebenszufriedenheit ist. Damit bestätigt sich, dass die Wahrnehmung der Wohnung über den reinen Gebrauchswert hinausgeht. Vielmehr erfährt das Wohnen einen Bedeutungszuwachs individueller Gestaltungswünsche, Selbstdarstellungs- und Repräsentationsfunktionen.
Die Wohnung hat vor allem für Familien sowie Singles oder Paare mittleren bis höheren Alters eine erhöhte Relevanz, da die Wohnung für diese Nachfragergruppen zum zentralen Lebensmittelpunkt wird. Jüngere Singles oder Paare schreiben der Wohnung hingegen eher eine geringe Bedeutung zu. Für diese Personengruppen ist die Wohnung vielfach eine „austauschbare Kulisse“ auf der Suche nach privater und beruflicher Etablierung. Sie bevorzugen einen gemieteten Wohn- und Lebensstil auf Zeit, da sie hochmobil sind: 40 Prozent der befragten unter 30-jährigen Singles oder Paare geben an, bislang schon mindestens sechsmal die Wohnung gewechselt zu haben. Ferner suchen sie aktuell vergleichsweise häufig schon nach einer neuen Wohnung oder planen zumindest, in den nächsten zwei Jahren umzuziehen.
Wohneigentum leitet im Allgemeinen eine Phase der Immobilität ein. In Deutschland wird häufig mit dem Wechsel ins Wohneigentum eine langfristige Wohnlö­sung angestrebt. So belegen es auch die Ergebnisse der bundesweiten infas-Befragung: Lediglich 4 Prozent der Personen, die aktuell im Eigentum leben, suchen derzeit eine neue Wohnung und 11 Prozent dieser Personen beabsichtigen, in den nächsten zwei Jahren umzuziehen. Zufriedenheitsunterschiede zwischen Sesshaften und Wohnungssuchenden
Beleg ihrer geringen Umzugsneigung ist eine hohe Zufriedenheit mit der Wohnung und dem Wohngebäude. Auch in punkto Nachbarschaft, Siedlungsstruktur, Aufenthaltsqualität im Wohnumfeld und Image des Wohngebietes sind die gegenwärtigen Eigentümer deutlich zufriedener als die Mieter.

Motive für Umzugsabsichten

Was unterscheidet die Umzugswilligen von den Sesshaften im Hinblick auf ihre empfundene Wohnzufriedenheit? Bei der Gegenüberstellung der Wohnzufriedenheit von Umzugswilligen und Sesshaften zeigt sich, dass die Umzugswilligen vor allem mit der Wohnungsgröße, der Grundausstattung, den Merkmalen des Wohngebäudes wie Wärmedämmung, der Siedlungsstruktur, der Nachbarschaft und dem Image des derzeitigen Wohngebiets deutlich unzufriedener sind. Begründet wird der geplante Wohnungswechsel vorrangig mit familiären Gründen, der Miethöhe, der Wohnungsgröße und dem Zustand der Wohnung sowie mit der aktuellen Wohnlage. Für 29 Prozent der Befragten ist jedoch auch die Nachbarschaft im aktuellen Wohnumfeld ein (eher) starkes Umzugsmotiv.
Je nach Lebensphase und Lebensstil werden unterschiedliche Wohnmodelle gelebt und verschiedenartige Ansprüche an die Wohnsituation gestellt. Dies spiegelt sich auch bei der Betrachtung der Umzugsmotive der Befragten der bundesweiten Erhebung wider.
Der Umzug der hochmobilen, jungen Singles oder Paare folgt vorwiegend beruflichen Motiven. Merkmale der Wohnsituation spielen bei dieser Gruppe demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle. Zentrales Kriterium ihrer Wohnungswahl ist jedoch die Miethöhe. In der Lebensphase unter 30 Jahren bestimmt vornehmlich die Kaufkraft die Wohnungsnachfrage. Die Kaufkraft von jungen Singles oder Paaren ist aufgrund fehlender beruflicher Etablierung häufig noch zu limitiert, um Wohnansprüche formulieren zu können. Wunsch und Wirklichkeit des Wohnens liegen bei den jungen Singles oder Paaren insofern noch weit auseinander.
Mit einsetzender beruflicher Etablierung verlieren berufliche Umzugsmotive an Bedeutung. Wohnungsmerkmale und die Wohnlage werden dafür wichtiger. Zusätzlich schafft ein Mehr an Kaufkraft Spielräume für die Verwirklichung von Wohnwünschen. Der Umzug der eher sesshaften Mid-Ager und Senioren ist zumeist altersbedingt oder gesundheitlich begründet. Weiterhin wünschen sie, eine Verbesserung der Infrastruktur und Verkehrsanbindung mit dem Wohnungswechsel zu erzielen.
Generell sind Familien eher immobil. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Mobilitätsneigung entscheidend von der Familienphase abhängt: So sind junge Familien deutlich mobiler als Familien in der Konsolidierungs- oder Auflösungsphase. Merkmale der Wohnung und der Wohnlage sind für junge Familien beim Wohnungswechsel von hoher Relevanz. Auch das nachbarschaftliche Umfeld ist bei jungen Familien häufig umzugsfördernd. Im Gegensatz zu den Familien in der Konsolidierungs- oder Auflösungsphase wohnen junge Familien häufig noch zur Miete. Zukünftig wollen die jungen Familien jedoch vermehrt Eigentum erwerben.

Bedürfnisse und Anpassungen

Im Ergebnis wird es zunehmend unwahrscheinlicher, dass eine Wohnung über Jahrzehnte hinweg den Ansprüchen ihrer Bewohner genügen wird. Vor dem Hintergrund einer steigenden Lebenserwartung ist zudem von einer Zunahme unterschiedlicher Wohnepisoden auszugehen. Differierende Wohnbedürfnisse und -ansprüche führen zu einer Pluralisierung an Wohnentwürfen. Aus der größeren Vielfalt an Wohnbiografien ergeben sich neue Zielgruppen bei der Wohnungsnachfrage. Zukünftig wird es vermehrt nicht um eine Normierung, sondern um eine Flexibilisierung des Wohnens gehen. Einer vielschichtigen Nachfrage steht die geringe Anpassungselastizität des Guts „Wohnen“ gegenüber: Das Gut „Wohnen“ ist im Gegensatz zu anderen Konsumgütern durch Besonderheiten wie Planungsintensität, Langlebigkeit und Standortgebundenheit geprägt. Diese Besonderheiten schränken die Reaktionsmöglichkeiten der Wohnungswirtschaft auf Trendveränderungen der Wohnungsnachfrage ein. Die künftige Nachfrageentwicklung ist somit für wohnungswirtschaftliche und politische Akteure von zentraler Bedeutung. Voraussagen über das Wohnen und über Wohnumwelten in der Zukunft sind nur tragfähig, wenn sie auf gesellschaftliche Entwicklungen Bezug nehmen, denn Wohnformen sind auch immer gesellschaftlich bedingt. Mögliche Entwicklungen sind technischer Art, wie zum Beispiel das „intelligente Haus“ mit einer entlastenden informations- und kommunikationstechnischen Ausstattung, oder sozialer Art, wie gemeinschaftliche Wohnformen, die auf gegenseitige Unterstützung angelegt sind.

Quellen: Amérigo, Maria; Aragonés, Juan Ignacio: A theoretical and methodological approach to the study of residential satisfaction; In: Journal of Environmental Psychology Vol. 17, 1997, No. 2, S. 47–57.
Flade, Antje: Wohnen psychologisch betrachtet, Bern 2006 sowie Frick, Joachim: Lebenslagen im Wandel: Determinanten kleinräumlicher Mobilität in Westdeutschland, Frankfurt am Main 1996.
Kellerhoff, Jette: Soziale Ungleichheit am Wohnungsmarkt. Eine nachfrageorientierte Analyse, unveröffentlichte Dissertationsschrift. Spellerberg, Annette: Lebensstile und Wohnprofile: Trends; In: Schader-Stiftung (Hrsg.): Wohn:wandel: Szenarien, Prognosen, Optionen zur Zukunft des Wohnens, Darmstadt 2001.


Zum Weiterlesen: Böltken, Ferdinand; Schneider, Nicole;
Spellerberg, Annette: Wohnen – Wunsch und Wirklichkeit.
Subjektive Prioritäten und subjektive Defizite als Beitrag zur Wohnungsmarktbeobachtung; In: Informationen zur Raumentwicklung, 1999, Heft 2: Wohnungsmarktbeobachtung, S. 141–156.
GdW Bundesverband der deutschen Wohnungsund Immobilienunternehmen e. V. (Hrsg.): Unternehmenstrends 2020, GdW Branchenbericht 5, Berlin 2011.
Harth, Annette: Das Wohnerlebnis in Deutschland. Eine Wiederholungsstudie nach 20 Jahren, Wiesbaden 2012.
Maak, Niklas: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen, Carl-Hanser Verlag, 2014. Schneider, Nicole; Spellerberg, Annette: Lebensstile, Wohnbedürfnisse und räumliche Mobilität, Opladen 1999.