Auf der Walz

Laut Datenreport 2019 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), der anhand verschiedener Datenquellen differenziert die Ausbildungssituation in Deutschland beschreibt, blieben 2018 rund 58.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Dies stellt einen neuen Höchstwert dar, obwohl ein großes Angebot an Ausbildungsplätzen und eine steigende Nachfrage nach Ausbildung bestehen. In der Berufsbildungsforschung wird dieses Phänomen als Passungsproblem auf dem Ausbildungsmarkt beschrieben.

Passungsprobleme und Ungleichgewichte
Ein maßgeblicher Grund dafür sind Ungleichgewichte in Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen. Diese fallen regional unterschiedlich stark aus, wobei es sowohl zu Ungleichgewichten zugunsten als auch zulasten von Bewerbern kommt. Laut Analysen des BIBB bleiben überwiegend Ausbildungsplätze unbesetzt, für die als Zugangsvoraussetzung lediglich ein Hauptschulabschluss erforderlich ist. Gleichzeitig haben besonders Ausbildungssuchende mit mittlerer Reife und ein hoher Anteil Bewerber mit Studien berechtigung Schwierigkeiten, einen passenden Ausbildungsplatz zu finden. Diese Befunde sind darauf zurückzuführen, dass in bestimmten Regionen das Angebot an Ausbildungsstellen nicht mehr mit der Nach frage der Bewerber vor Ort zusammenpasst.
Die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt gehen damit also nicht nur rein auf numerische Ungleichgewichte zurück, sondern haben auch eine qualitative Dimension, insofern angebotene Ausbildungsplätze von Bewerbern nicht nachgefragt werden. Zudem sind Betriebe stellenweise wählerisch, insbesondere dann, wenn sie auf ein ausreichend großes Angebot an Bewerbern treffen. Ein Vignettenexperiment im Rahmen des BIBB-Qualifizierungspanels kam zu dem Ergebnis, dass Betriebe bei der Auswahl seltener an Bewerbern mit Defiziten bei sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten interessiert sind, wenn sie eine günstige Bewerbersituation vorfinden.
Die Folgen einer erfolglosen Ausbildungsplatzsuche können für junge Berufsanfänger weitreichend sein. Viele junge Erwachsene nehmen für einen Ausbildungsplatz beispielsweise lange Pendelwege in Kauf oder wechseln sogar den Wohnort, um nicht leer auszugehen. Die BA/BIBB Bewerberbefragung 2018, deren Ergebnisse ebenfalls in den BIBB-Datenreport einfließen, hat ergeben, dass weibliche, studienberechtige oder ältere Ausbildungssuchende oder solche aus ländlichen Regionen häufiger überregionale Bewerbungen in Betracht ziehen. Bei den männlichen mit Hauptschulabschluss ist dies seltener der Fall. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Jost et al. (2019) unter Verwendung von Daten der Bundesagentur für Arbeit zu den Wohn- und Arbeitsorten von Auszubildenden in Deutschland: Insbesondere Abiturientinnen und Abiturienten und Auszubildende in MINT-Berufen nehmen lange Pendelwege für einen entsprechenden Ausbildungsplatz in Kauf. Deutlich seltener und weniger weit pendeln dagegen wiederum Auszubildende in handwerklichen Berufen.

Weite Wege gehen für einen Ausbildungsplatz
Ausbildungsplatzangebot, -nachfrage und Passungsprobleme schlagen sich in den Pendlerbewegungen von Auszubildenden zwischen einzelnen Bundesländern nieder. Im Datenreport des BIBB findet man hierzu detaillierte Angaben zu den Pendlerquoten von Auszubildenden einzelner Bundesländer. Jene aus eher ländlichen Räumen pendeln in urbane Zentren, wie etwa von Brandenburg nach Berlin oder von Niedersachsen nach Bremen und Hamburg. Negative Pendelquoten zeigen sich auch für Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Die Gründe hierfür können im Detail unterschiedlich sein und sind vermutlich in einer jeweils unterschiedlichen Kombination aus fehlenden Ausbildungsstellen und anderen Passungsproblemen in den verschiedenen Regionen zu finden.
Die ausbildungsbedingte Migration junger Erwachsener kann auch Folgen für die Demografie bestimmter Regionen haben. Etwa, wenn es aufgrund überwiegend weiblicher Migration zu Geschlechterungleichgewichten in städtischen, ländlichen Räumen oder sogar in ganzen Regionen kommt. Anhand seiner Analysen von makrostrukturellen Partnermarktindikatoren auf Kreis ebene stellt Stauder (2011) beispielsweise ein Geschlechterungleichgewicht zugunsten junger ostdeutscher Männer ohne Abitur fest, das er unter anderem auch darauf zurückführt, dass junge ostdeutsche Frauen ohne Abitur häufiger den Wohnort für eine Ausbildung wechseln. Ein Grund hierfür dürfte die wirtschaftliche Situation vor Ort sein.
Häring et al. (2012) kommen in ihren Analysen von Partner märkten junger Erwachsener in Ost- und Westdeutschland zu dem Ergebnis, dass in ländlichen Räumen, unabhängig vom Bundesland, junge Männer schlechtere Begegnungsmöglichkeiten mit Personen des anderen Geschlechts haben. Dies liegt auch daran, dass soziale Kontexte in ländlichen Räumen, wie zum Beispiel das Arbeitsumfeld, häufig von Personen des eigenen Geschlechts dominiert werden. Auch dies könnte wiederum eine Folge der regionalen Wirtschaftsstruktur sein.

Ausblick
Wer vor Ort kein passendes Angebot findet, der sucht weiter weg – aber vielleicht auch nur dann, wenn der spätere Beruf diese Mühe lohnt. Denn was leicht gesagt ist, kann eine schwere Entscheidung für junge Erwachsene sein, wenn sie für eine Ausbildung ihr soziales Umfeld verlassen oder lange Pendelwege auf sich nehmen. PassungsprobIeme oder fehlende Bewerber können gleichzeitig Betriebe umso stärker treffen, je mehr sie auf das regionale Angebot von Ausbildungsbewerbern angewiesen sind. Die Bedeutung der ausbildungsspezifischen Migration erscheint gerade jetzt, da junge Erwachsene wieder verstärkt Ausbildungsplätze nachfragen, als ein wichtiges Thema. Der Ausbildungswunsch junger Erwachsener mit Migrations- oder Flucht hintergrund wird bei der Nachwuchssicherung in Handwerksberufen in den kommenden Jahren sicherlich eine Rolle spielen. Die Ergebnisse der Berufsbildungsforschung sprechen dafür, dass es auf dem Ausbildungsmarkt bildungs- und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Mobilität gibt, die zu regionalen Geschlechter unter schieden unter jungen Erwachsenen führen könnten. Dies kann besonders dann relevant sein, wenn der aktuelle Ausbildungsplatz auch der spätere Arbeitsplatz bzw. der spätere Lebensmittelpunkt wird.

 

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