Wie sicher ist die Rente? Eine volkswirtschaftliche Analyse

Knapp drei Jahre älter als infas ist sie – die gesetzliche Rentenversicherung, wie wir sie kennen. Am 21. Januar 1957 beschloss der Bundestag auf Bestreben des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, die gesetzliche Altersvorsorge völlig neu zu organisieren. Im bisherigen bismarckschen Rentensystem waren die Renten selbst angespart worden und stellten nur einen Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter dar. Nun sollten die gesetzlichen Renten zu einer echten Lohnersatzleistung ausgebaut und im Umlageverfahren finanziert werden.

Kritiker warnten vor Finanzierungsproblemen im Umlageverfahren, wenn sich die Relation von jungen Beitragszahlern zu älteren Rentenbeziehern verringert. Dem widersprach Adenauer vor gut 60 Jahren mit der Bemerkung: „Kinder kriegen die Leute immer.“ Rund 30 Jahre später warb Bundesarbeitsminister Norbert Blüm für die gesetzliche Rentenversicherung mit dem Spruch „Denn eins ist sicher: Die Rente“. Nein, ist sie nicht, weil sie auf dem Umlageverfahren basiert und mit demdemografischen Wandel die Bevölkerung schrumpft und altert, erneuerten die Kritiker ihre Warnungen. Deswegen müssten die Renten kapitalgedeckt sein wie die private und betriebliche Altersvorsorge, um sicher zu sein. Dann kamen Finanzmarktkrise und Niedrigzinspolitik. Und es bleibt die Frage: Welche Rente ist denn nun sicher – die umlagefinanzierte gesetzliche Rente oder die kapitalgedeckte private und betriebliche Altersvorsorge?

Egal ob Umlageverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren: In beiden Fällen muss das Geld von jemandem erwirtschaftet werden.

In einem Umlageverfahren werden die Beiträge nicht angespart. Stattdessen reicht die gesetzliche Rentenversicherung die Beiträge der Erwerbstätigen direkt an die heutigen Ruheständler weiter, um deren Rente zu finanzieren – deswegen der Begriff „Umlageverfahren“. So geht das Generation für Generation: Die jeweiligen Erwerbstätigen finanzieren immer die Rentenzahlungen an die jeweiligen Ruheständler. Daher wird auch vom  „Generationenvertrag“ gesprochen.
Das Kapitaldeckungsverfahren sieht zunächst ganz anders aus. Hier unterstützt nicht eine Generation die nächste, sondern jeder spart für sich – sei es über „normale“ Geldanlage, Fonds, private Lebens- oder Rentenversicherungen oder betriebliche Altersversorgung. Im Ruhestand werden dann die Rentenzahlungen finanziert, indem das angesparte Kapital nach und nach aufgelöst wird. Die Renten sind also durch Kapital gedeckt, daher der Begriff „Kapitaldeckungsverfahren“. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Rentensysteme demnach fundamental. Im demografischen Wandel, so scheint es zunächst, hat das Kapitaldeckungsverfahren deutliche Vorteile. Denn wenn eine sinkende Anzahl von Erwerbstätigen eine steigende Anzahl von Rentnern und Pensionären bezahlen muss, sieht das nach klaren Nachteilen für das Umlageverfahren aus – allerdings nur bei oberflächlicher Betrachtung.

Zwei Varianten, ein Problem

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren im Kern sehr ähnlich sind – auch im demografischen Wandel. Denn egal ob die Ruheständler ihr Geld aus dem Umlage verfahren oder dem Kapitaldeckungsverfahren erhalten: In beiden Fällen muss das Geld von irgendjemandem erwirtschaftet werden. Im Falle der gesetzlichen Rentenversicherung sind es die aktuellen Beitragszahler, die mit einem Teil ihres Einkommens die Renten finanzieren. Im Falle der privaten und betrieblichen Altersvorsorge sind dies die aktuellen Sparer, die den Rentnern ihre Kapitalanlagen abkaufen – auch sie müssen das Geld dafür erwirtschaften. Die Sparer für eine kapitalgedeckte Rente sind in der Regel die Erwerbstätigen; diejenigen, die ihr Vorsorgekapital zugunsten monatlicher Rentenleistungen auflösen, die Rentner. Vereinfacht ausgedrückt gilt also in beiden Rentensystemen: Die aktuellen Erwerbstätigen finanzieren die Renten der aktuellen Ruheständler. Nur erfolgt im Umlageverfahren diese Finanzierung direkt, während im Kapitaldeckungsverfahren die Kapitalmärkte dazwischengeschaltet sind.
Dass das Kapitaldeckungsverfahren genauso wie das Umlageverfahren auf Erwerbstätige angewiesen ist, verdeutlicht das folgende Beispiel: Die gesamte Bevölkerung wohnt auf einer Insel. Eines Tages begeben sich alle Erwerbstätigen auf einen Ausflug; auf dem Programm steht eine zweitägige Kreuzfahrt. Die Ruheständler bleiben auf der Insel zurück. Plötzlich geraten alle Schiffe der Erwerbstätigen in einen Sturm. Sie kehren nie wieder zurück. Bei einem reinen Umlageverfahren käme zu dieser Katastrophe ganz offensichtlich noch der finanzielle Ruin für die Ruheständler dazu: Keine Erwerbstätigen, keine Beitragszahler, keine Renten.
Glück im Unglück: Die Insulaner hatten seit jeher auf das Kapitaldeckungsverfahren gesetzt. Die Ruheständler haben prall gefüllte Sparkonten, Aktien und Wertpapierdepots. Nur – was sollen sie damit anfangen? All das Geld und all die Depots sind auf einen Schlag wertlos geworden. Jetzt gibt es niemand mehr, der die Zinsen für die Geldanlage der Ruheständler erwirtschaften oder ihnen die Aktien und Wertpapiere abkaufen kann. Auch das Bargeld ist wertlos geworden, da man nichts mehr damit kaufen kann. Denn keiner, der bisher die Güter für die Ruheständler produziert hat, ist noch da. Die einzige Möglichkeit, die den Ruheständlern jetzt noch bleibt, ist es, selbst wieder erwerbstätig zu werden. Genau das wäre auch in einem Umlageverfahren der Fall gewesen.

Die Krux mit dem demografischen Wandel

Die Diskussion um das „bessere“ Rentensystem wird meist mit Verweis auf den demografischen Wandel geführt, also der Entwicklung, dass die Bevölkerung in Deutschland zugleich schrumpft und altert. Was bedeutet das für das Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren? Am besten lässt sich diese Frage beantworten, wenn diese beiden Merkmale des demografischen Wandels gedanklich getrennt werden (auf das dritte Merkmal des demografischen Wandels, die Migration, wird zur Vereinfachung nur am Rande eingegangen).
Angenommen, auf der Seite der Erwerbstätigen ändert sich nichts – weder ihre Wirtschaftsleistung noch die Mittel, die sie den Ruheständlern zur Verfügung stellen (sei es über Beiträge, die sie zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen, oder über das Aufkaufen der Aktien und Wertpapiere der Ruheständler). Dann bedeutet eine längere Lebenserwartung der Ruheständler zwangsläufig, dass die vorhandenen Mittel zur Finanzierung der Renten über einen längeren Zeitraum gestreckt werden müssen, wenn das Renteneintrittsalter nicht erhöht wird. Pro Monat bleibt also nur noch weniger Geld für die Rentenzahlungen übrig. Dieser Mechanismus gilt in jedem Rentensystem, ganz gleich, ob es sich um ein Umlage- oder Kapitaldeckungsverfahren handelt.

Was passiert, wenn die Bevölkerung schrumpft

Angenommen, auf der Seite der Ruheständler ändert sich nichts. Ihre Lebenserwartung bleibt ebenso unverändert wie die durchschnittliche Anzahl der Jahre, in denen sie ihre Renten beziehen. Was passiert dann, wenn die Geburtenraten so niedrig ausfallen, dass weniger Menschen geboren werden als sterben?

Das Kapitaldeckungsverfahren funktioniert nur dann gut, wenn es genügend Erwerbstätige und Sparer gibt, die den Ruheständlern ihre Kapitalanlagen abkaufen.

Im Umlageverfahren wird jedes Jahr genau das Geld an die Ruheständler ausgezahlt, das über die Beiträge der Erwerbstätigen eingenommen wird. Eine „Verzinsung“ der Beiträge ergibt sich, wenn die Summe der Beiträge von Jahr zu Jahr ansteigt – etwa wenn die Wirtschaft wächst und die Einkommen der Erwerbstätigen steigen. Stehen der Rentenversicherung 1,5 Prozent mehr Beitragsgelder zur Verfügung als im Vorjahr, weil die Summe der Löhne und Gehälter entsprechend angestiegen ist, stellt das die „Verzinsung“ im Umlageverfahren dar.
Allerdings: Entscheidend ist dabei immer die Summe der Rentenbeiträge. Wenn weniger Kinder geboren werden, wachsen weniger Erwerbstätige nach. Dann steigt auch die Summe der Beiträge langsamer an oder schrumpft sogar – es gibt ja nur noch eine geringere Anzahl von Beitragszahlern, die etwas zur Beitragssumme beisteuern. Damit führen im Umlageverfahren geringe Geburtenraten zwangsläufig zu einer niedrigeren „Verzinsung“. Es sei denn, der Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen wird durch längere (Wochen- oder Lebens-)Arbeitszeiten, durch Zuwanderer oder durch eine deutlich gestiegene Arbeitsproduktivität kompensiert. Sonst bleibt zur Kompensation nur noch die Möglichkeit, die Beiträge zu erhöhen.
Das Kapitaldeckungsverfahren funktioniert gut, wenn es genügend Erwerbstätige bzw. Sparer gibt, die den Ruheständlern ihre Kapitalanlagen abkaufen. Genau das ist aber bei sinkenden Geburtenraten fraglich: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und den geburtenschwachen Jahrgängen ihre Wertpapiere, Aktien oder Immobilien verkaufen wollen, trifft ein (zu) hohes Angebot auf eine (zu) geringe Nachfrage. Der Preis sinkt, die Ruheständler bekommen weniger Geld für ihre Kapitalanlagen als geplant und erhofft. Vergleichbares gilt, wenn die geburtenstarken Jahrgänge den geburtenschwachen Jahrgängen ihr Kapital nicht verkaufen, sondern leihen wollen – wenn sie also Kredite vergeben wollen. Auch hier trifft ein (zu) hohes Angebot auf eine (zu) niedrige Nachfrage: Der „Preis“ für Kredite, das heißt die Verzinsung, geht zurück. Auch im Kapitaldeckungsverfahren führen also sinkende Geburtenraten zu sinkenden Zinsen.
Allerdings sind die Geburtenraten in Deutschland im weltweiten Vergleich besonders niedrig. Im Kapitaldeckungsverfahren besteht die Möglichkeit, das Geld in Ländern anzulegen, in denen die erwerbstätige Bevölkerung (noch) nicht schrumpft oder sogar wächst. Das ist insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern der Fall. Eine Geldanlage in diesen Ländern birgt jedoch zusätzliche, auch politische, Risiken. Darüber hinaus besteht bei jeder Geldanlage außerhalb der Euro-Zone das Risiko, dass die Wechselkurse sich ungünstig entwickeln. Im Kapitaldeckungsverfahren kann der demografisch bedingte Renditeverlust zwar begrenzt werden – aber nur um den Preis eines höheren Risikos.

Die Konsequenzen für die Alterssicherung

Seriöse Langfristprognosen über die Rentensysteme im Vergleich sind nicht möglich. Sie würden von zu vielen zu komplexen Annahmen abhängen, die eintreten können oder auch nicht. Hilfreicher ist es, sich auf die grundsätzlichen Ergebnisse zu konzentrieren:

  • Rentenleistungen werden sinken: Die monatlichen Rentenleistungen werden in einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung geringer ausfallen, egal ob sie aus einer umlagefinanzierten oder kapitalgedeckten Rentenversicherung kommen. Übersteigt die Inflationsrate die Rentenerhöhungen, sinkt die Kaufkraft der Rentner. Wenn ein Sinken der monatlichen Rentenzahlungen abgemildert werden soll, muss die Gesellschaft mehr Geld in die Alterssicherung stecken, egal ob über höhere Steuerzuschüsse, Sozialversicherungsbeiträge oder Beiträge zur privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Oder das Alter, ab dem
    Rentenleistungen gezahlt werden, wird erhöht. Dann müssen die verfügbaren Mittel nur noch über einen weniger langen Zeitraum gestreckt werden; die Rentenleistungen pro Monat sinken nicht so stark ab.
  • Die „Systemfrage“ ist nicht zu beantworten: Welches Rentensystem „sicherer“ ist, lässt sich schwer sagen. Die steigende Lebenserwartung macht beiden Systemen gleichermaßen zu schaffen. Die Einbußen an „Rendite“, die eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung mit sich bringt, lassen sich im Kapitaldeckungsverfahren zwar abmildern. Aber nur, wenn zusätzliche Risiken in Kauf genommen werden. Ob es das wert ist, kann niemand sagen – wer weiß schon, wie die Welt in zwanzig, dreißig Jahren aussieht? Wer kann schon sagen, ob bis dahin neue Finanzmarktkrisen oder Niedrigzinsphasen das Vorsorgekapital schmälern?

Es ist nicht zuletzt unter Sicherheitsaspekten unsinnig, auf ein einziges Rentensystem zu setzen, egal ob es umlagefinanziert oder kapitalgedeckt ist.

  • Es ist keine Lösung, alles auf eine Karte zu setzen: Bei der Rentenversicherung geht es um Sicherheit. Und die lässt sich am besten dadurch erreichen, dass die Risiken gestreut werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es unsinnig, auf ein einziges Rentensystem zu setzen, egal ob umlagefinanziert oder kapitalgedeckt. Wer den Großteil seiner Altersbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwartet, kann getrost in kapitalgedeckte Zusatzvorsorge investieren – sei es über private oder betriebliche Altersvorsorge, „normale“ Geldanlage oder Immobilien. Umgekehrt lohnt es sich für Freiberufler oder Selbstständige mit überwiegend kapitalgedeckter Altersvorsorge, über freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung nachzudenken.
    Ein anderes Thema ist es, ob die derzeitigen Erwerbstätigen die Mittel und Motivation haben, Beiträge für zusätzliche Altersvorsorge auch tatsächlich zu leisten. Davon hängt viel ab: Nicht nur, ob künftige Ruheständler ihren Lebensstandard im Alter sichern können, sondern auch, ob Geringverdiener und Beschäftigte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien im Ruhestand von Altersarmut betroffen sind. Damit der Sozialstaat bei Bedarf rechtzeitig mit geeigneten Maßnahmen gegensteuern kann, müssen verlässliche statistische Informationen über die Alterssicherung der Menschen in Deutschland vorliegen. Diesem Ziel dient die Studie „Verbreitung der Altersvorsorge in Deutschland 2019“. Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) befragt infas dazu 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu privater und betrieblicher Altersvorsorge und ihren Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Zum Weiterlesen:
Deutscher Bundestag (Hrsg): Vor 60 Jahren: Bundestag beschließt die Rentenreform. Artikel aus dem Textarchiv 2017. (online verfügbar: www.bundestag.de)
Leinert, Johannes: Wie sicher ist die Rente? Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren im Vergleich. (online verfügbar: www.finanzenverstehen.de)

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