Wird alles anders?

„Das Klimapaket ist ein Dokument der politischen Mutlosigkeit.“ So urteilte im vergangenen Herbst Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, nach vier Sitzungen des von der Bundesregierung einberufenen Klimakabinetts. Die beschlossene CO₂-Bepreisung sei zu niedrig angesetzt. Zwischen der notwendigen und der nunmehr geplanten CO₂-Bepreisung bestehe eine gewaltige Lücke, so Edenhofer. Das zentrale Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Einhaltung der selbst gesteckten Klimaschutzziele wurde auch von anderen Beobachtern kritisch kommentiert. Zugleich steht den zurückhaltenden Entscheidungen der Politik ein wachsender Handlungsdruck aufseiten der Bürgerinnen und Bürger gegenüber. Es sind vor allem die Jungen, die mit ihren regelmäßigen Demonstrationen und Mahnungen eine Mobilisierungskraft erzeugen, wie sie es in der Bundesrepublik lange nicht gab.

Vor diesem Hintergrund ist relevant, zu welchen Verhaltensänderungen jeder Mensch im Alltag tatsächlich in der Lage ist. Zugespitzt gefragt: Auf was können Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, im Interesse von Klima und Umwelt, aus eigener Sicht konkret verzichten? infas befragte dazu zwischen August und Dezember 2019 gut 1.900 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren. Alle Befragten sollten mit Blick auf Mobilität, Energieverbrauch und Konsum zu alltagsrelevanten Aspekten angeben, ob sie immer, häufig, selten oder nie verzichten können. Gefragt wurde also nicht nach einer abstrakten „Bereitschaft“, sondern nach einer persönlichen Verzichtsleistung. Die folgende Abbildung zeigt die Befunde für die Gesamtbevölkerung. Vergleichsweise häufig wird der eigene Verzicht auf Flugreisen angegeben. 82 Prozent der Befragten sagen, sie könnten häufig oder immer auf Kurzstreckenflüge verzichten, 71 Prozent geben dies entsprechend für Langstreckenflüge an. Hier geht es allerdings um ein trafficVerkehrsmittel, auf das nur wenige Menschen, beruflich oder privat, tatsächlich angewiesen sind. Auf Busreisen können nach eigenen Angaben ebenfalls fast 70 Prozent der Befragten gut verzichten. Für Fahrten mit dem Bus oder auch Kurzstreckenflüge bietet sich in den meisten Fällen die Bahn als Alternative an. Nur wenige Personen sind also auf diese Verkehrsmittel angewiesen.
Ein völlig anderes Ergebnis liegt dagegen vor, wenn es um den eigenen Pkw geht. Lediglich 38 Prozent der Befragten sagen aus, sie könnten häufig oder immer auf das eigene Auto verzichten. Hier treten auch Unterschiede zwischen den Altersgruppen hervor, wobei drei Altersgruppen (18-34 Jahre, 35-54 Jahre sowie 55 Jahre und älter) unter-schieden werden. Unter den Bürgerinnen und Bürgern zwischen 35 und 54 Jahren können vergleichsweise am wenigsten Personen auf das Auto verzichten
(33 Prozent). Jüngere Personen zwischen 18 und 34 Jahren schätzen ihre Möglichkeiten höher ein, fast 50 Prozent in dieser Altersgruppe. Erwerbstätigkeit und die Angewiesenheit auf das Auto spielen hier sicher eine Rolle.

Gering fällt nach eigener Einschätzung auch die Möglichkeit aus, auf Heizen mit Gas oder Öl zu verzichten. Ein Drittel der Befragten kann von diesem Energieträger absehen. Für die Installation von Heizanlagen, die ohne fossile Brennstoffe laufen, sind in der Regel bauliche Veränderungen am Wohnraum erforderlich, die für Eigentümer mit hohen Kosten verbunden sind. Für Mieter indes sind solche baulichen Änderungen kaum durchsetzbar. Leichter umsetzbar (61 Prozent) scheint hingegen, sich für einen Wechsel des Stromanbieters zu entscheiden und Kohlestrom zu meiden.
Als Bündnis 90/Die Grünen vor einigen Jahren den Vorschlag für einen Veggie-Day in öffentlichen Kantinen machten, sorgte das Thema „Verzicht auf Fleisch“ für hitzige Diskussionen. Heute sagt knapp die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland (47 Prozent): „Auf Fleisch kann ich selten oder nie verzichten.“ Für die andere Hälfte der Bevölkerung
(53 Prozent) ist es hingegen immer oder häufig möglich, Fleisch wegzulassen. Inwieweit die Umweltbelastung durch Fleischproduktion bekannt ist oder nicht, darüber sagen die Befragungsergebnisse indes nichts aus.
Zur Einordnung unserer empirischen Befunde, deren multivariate Vertiefung ansteht, sollten einige Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Grundsätzlich zeigen (eigene als auch andere) Daten zu diesem Thema: Für die Bürgerinnen und Bürger ist „Klimawandel“ – als ganz tagespolitisches Thema – ebenso neu wie hochrelevant. Immer stärker dringt ins Bewusst sein, dass das Leben nicht erst in einer späteren Zukunft, sondern bereits heute davon betroffen ist. Sobald es aber um konkrete Verhaltensänderungen geht, tritt stets eine gewisse Reserviertheit zutage. Diese Reserviertheit ist durch wirtschaftliche Notwendigkeiten geprägt – insbesondere im Dreiklang Wohnen, Arbeit und Mobilität. Stichworte wie Pendlerpauschale oder Eigenheimzulage illustrieren dies.

Unsere Vermutung ist, dass neben manifesten Notwendigkeiten auch weitere Faktoren bestehen, die das Beharrungsvermögen der Menschen beeinflussen. Am Beispiel des Auto-Paradigmas sei dies erläutert. So kann man in Deutschland neben den verkehrs- und wirtschaftsbezogenen Aspekten und inmitten einer autogerecht organisierten Gesellschaft durch aus von einer kulturell en Verwurzelung des Autos sprechen. Ein Anspruch auf individuelle Mobilität, auf die „Freude am Fahren“, gilt, über Erfordernisse des täglichen Lebens hinaus, als heilige Kuh. Vor solchem Hintergrund stellt sich dann nicht nur die Frage, ob Verzichtsleistungen lebenspraktisch möglich sind, sondern auch, ob dafür überhaupt Offenheit und Bereitschaft besteht. Weitere empirische Bestandsaufnahmen sind hier notwendig. Der Prozess einer umfassenden Politisierung der „Klimakrise“ hat begonnen. Die Politik der „Dekarbonisierung“, die private Haushalte millionenfach betreff en wird, steht erst in den Startlöchern, ganz unabhängig davon, dass ökologische Diskussionen bereits seit Jahrzehnten geführt werden. Mit Blick auf die Alltagspraxis sind die Bürgerinnen und Bürger erst seit kurzer Zeit mit der „Rebellion der Wirklichkeit“ (Bernd Ulrich), das heißt mit explizit klimapolitischen Anforderungen, konfrontiert. Welche Form die entstehende Konfliktstruktur um eine neue ökologische Politik annimmt, wird dabei stark vom Verhalten der politischen Akteure abhängen. Vor allem ist hier die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung gefragt. Unsere empirischen Befunde zeigen dabei heute bereits an, wo Auseinandersetzungen um den Wandel des Lebensstils besonders konfrontativ sein werden. Dies wird vor allem beim Thema der individuellen motorisierten Mobilität der Fall sein.